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Der Hering in der Klimafalle

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Einleitung






Eine Multimediareportage von Nadine Kraft, Patrick Polte, Annemarie Schütz und Christopher Zimmermann
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Er hat das Werden und Wachsen der Hanse begründet, technologischen Fortschritt provoziert und bildet bis heute die Lebensgrundlage vieler Menschen an der Ostsee: der Hering. Nicht nur wegen seiner Schuppenfarbe wird Clupea harengus auch „Silber des Meeres“ genannt. Doch das Silber wird rar – vor allem in der westlichen Ostsee. Dort geht dem Hering der Nachwuchs aus. Das ist uns während des jährlichen Rügen-Heringslarven-Surveys, einer Forschungsreise, die wir am Thünen-Institut für Ostseefischerei seit Jahrzehnten durchführen, vor 15 Jahren erstmals aufgefallen.

Systematisch haben wir seither nach den Gründen für die nachlassende Produktivität des Herings gesucht. Mittlerweile stehen zwei Hauptgründe fest, wahrscheinlich als unmittelbare und schon heute messbare Folge des menschengemachten Klimawandels: Zum einen ist es die Erwärmung des Meeres (Quelle Nr. 1) entlang der Laichwanderroute. Zum anderen hat sich die jahreszeitlichen Abfolge, die sogenannte Phänologie, verschoben (2).
mehr zur Bestandsentwicklung
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Obwohl die Zahl der Fischer seit Jahrzehnten sinkt, gehören die Kutter, ihre Besatzung und das Angebot von frischem Fisch noch immer zum prägenden Bild der Häfen entlang der Ostseeküste. Während in Schleswig-Holstein der Dorschfang dominiert, ist der Hering für die Fischer in Vorpommern der Brotfisch: Für die meisten Fischereibetriebe war Hering bisher die mit Abstand wichtigste Zielart. Doch die Fangmöglichkeiten mussten in den vergangenen Jahren immer weiter gesenkt werden, allein zwischen 2017 und 2021 um 94 Prozent. Durch diesen drastischen Einschnitt erlebt die Fischerei in Mecklenburg-Vorpommern derzeit den zweiten großen Strukturwandel nach der Wiedervereinigung. 
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Heringsforschung

Fragt man die Fischer, können sie unsere Sorgen um den Hering der westlichen Ostsee kaum nachvollziehen. Denn der Hering ist das Paradebeispiel eines Schwarmfisches: Er lebt in riesigen Gruppen und wandert mit diesen auf die Laichgründe. Die Fischer ziehen dementsprechend volle Netze aus dem Wasser, bis zum letzten Schwarm. Ein Paradoxon. Denn die so gewonnenen Fänge sagen nur wenig über den tatsächlichen Zustand des Fischbestandes im Verbreitungsgebiet aus. 


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Tatsächlich Aufschluss über die Biomasse geben hingegen lange Zeitserien wie der Rügen-Heringslarven-Survey (RHLS) in Greifswalder Bodden und Strelasund. Seit 1977 wird dort an Heringslarven geforscht. Seit 1992 bestimmen wir die Anzahl der Heringslarven jedes Jahr über die gesamte Laichzeit und an mindestens 30 Stationen pro Woche. Diese Bestandsaufnahme ist damit die längste Untersuchungsreihe ihrer Art mit der höchsten zeitlichen und räumlichen Auflösung.
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Dr. Patrick Polte

Arbeitsgruppe Heringsrekrutierung am Thünen-Institut für Ostseefischerei

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Der Heringsbestand der westlichen Ostsee ist viel unterwegs: Im Sommer leben die Schwärme in Kattegat und Skagerrak. Im Winter sammeln sie sich im Öresund zwischen Dänemark und Schweden. Von dort aus wandern sie zu den Laichgebieten an der Südküste der westlichen Ostsee. Ihre wichtigste Kinderstube ist der gut 500 Quadratkilometer große Greifswalder Bodden. Die Tiere laichen im Frühjahr an den Wasserpflanzen im Flachwasser – ein Ablauf, der seit langer Zeit unverändert funktioniert. Doch seit 15 Jahren geht die Anzahl des Heringsnachwuchses kontinuierlich zurück. Zumindest ein Rückschluss lässt sich aus dieser Entwicklung sicher ziehen: Weniger Larven bedeuten drei Jahre später auch weniger erwachsene Heringe, die den Fischern ins Netz gehen. (5)

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Die stark sinkende Anzahl von 20 Millimeter langen Heringslarven, die für den Nachwuchs-Index ausgewertet werden, hat uns ab 2006 dazu veranlasst, systematisch nach den Ursachen zu forschen. Seitdem wurden sechs Hypothesen mit Hilfe ökologischer Grundlagenforschung überprüft.
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Oberflächentemperaturen der Ostsee im Februar: Mittelwert 1990-2020 (links); 2020 (rechts). Quelle BSH.
Oberflächentemperaturen der Ostsee im Februar: Mittelwert 1990-2020 (links); 2020 (rechts). Quelle BSH.
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Neben den Datenreihen aus dem eigenen Survey haben wir alle verfügbaren Informationen zu Greifswalder Bodden und Strelasund hinzugezogen, etwa zur Wassertemperatur, zu Nährstoffen und zur Primärproduktion, und diese in unsere statistischen Modelle gespeist. Wir wollten herausfinden, warum die Heringe früher als noch vor 30 Jahren auf die Laichgründe wandern und ihre Eier damit auch früher ablegen.

Die Ergebnisse der Modellierungen erlauben es uns, dies auf die schwächeren und verspäteten Kälteperioden in der Ostsee zurückführen: Die Temperaturveränderung erklärt mehr als 50 Prozent der nachlassenden Nachwuchsproduktion des Bestandes und ist damit der wichtigste Einzelfaktor. Die übrigen rund 50 Prozent verteilen sich auf mehrere andere Faktoren (1).

In den vergangenen 30 Jahren war die Oberflächentemperatur der Ostsee im Februar nie höher als 2020. Zugleich wurde in dem Jahr der niedrigste Larvenindex N20 der vergangenen 30 Jahre bestimmt.
Oberflächentemperaturen der Ostsee im Februar: Mittelwert 1990-2020 (links); 2020 (rechts). Quelle BSH.
Oberflächentemperaturen der Ostsee im Februar: Mittelwert 1990-2020 (links); 2020 (rechts). Quelle BSH.
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Das wärmere Wasser sorgt nicht nur für einen zeitigeren Laichbeginn. Die abgelegten Eier entwickeln sich auch schneller. Das Ergebnis: Die Larven schlüpfen früher. Einige Tage lang können sie sich von ihrem Dottersack ernähren. Doch die höheren Wassertemperaturen sorgen im weiteren Verlauf dafür, dass dieser Vorrat schneller verbraucht ist.

In der Folge benötigen die Larven rund drei Wochen früher als noch vor 30 Jahren anderes Futter. Das ist für sie der winzige Nachwuchs von Zooplankton. Dieser allerdings, so erste Ergebnisse weiterer Studien, scheint zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden zu sein. Denn während die Laichaktivität der Heringe vor allem durch die Temperatur beeinflusst wird, entsteht der Zooplankton-Nachwuchs zumindest indirekt lichtgesteuert. Die meisten Heringslarven verhungern also, die Zahl erwachsener und damit laichbereiter Heringe geht von Jahr zu Jahr zurück.

Aber auch den spät geschlüpften Larven droht Unheil durch die warmen Winter: Weil sich das Wasser schneller wieder erwärmt als noch vor 30 Jahren, bekommt der Nachwuchs zum Beispiel Herz-Rhythmus-Störungen und stirbt (13).
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Dr. Christopher Zimmermann

Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und deutsches Mitglied in ICES-ACOM

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  • Der Heringsbestand der westlichen Ostsee kann nachhaltig bewirtschaftet werden, auch wenn die Nachwuchsproduktion niedrig bleibt. Dann könnten aus der westlichen Ostsee rund 20.000 Tonnen pro Jahr gefischt werden. Das ist zwar nur halb so viel wie vor 30 Jahren, aber mehr als zehn Mal so viel wie 2021.
  • Mit dem Wissen um die Ursachen der verringerten Produktivität haben wir es in der Hand, die ökologischen Bedingungen für den Hering so zu verbessern, dass es trotz Klimawandel künftig wieder mehr Nachwuchs geben wird.
  • Ohne Hering steht die Küstenfischerei in Mecklenburg-Vorpommern vor dem Aus. Es lohnt sich, jede Anstrengung zu unternehmen, sie zu erhalten – aus wirtschaftlicher ebenso wie aus ökologischer und kultureller Sicht.

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Den erheblichen Rückgang der Bestandsgröße beim Hering der westlichen Ostsee kann man nicht allein auf einen zu hohen Fischereidruck zurückführen. In den vergangenen 15 Jahren haben wir am Thünen-Institut für Ostseefischerei herausgearbeitet, dass die gesunkene Produktivität des Herings eine Folge der Erwärmung des Meeres und der Verschiebung der Jahreszeiten ist. Diese Veränderungen haben einen unmittelbaren Einfluss, insbesondere auf die Küstenfischerei. Wird der Bestand kleiner, gibt es auch weniger Hering zu fischen. Am menschengemachten Klimawandel lässt sich kurzfristig nichts ändern. Es gibt jedoch zwei Wege, wie wir den Hering der westlichen Ostsee bei der Erholung unterstützen können:
  1. Wird der Fischereidruck in allen Fanggebieten dieses Bestandes deutlich reduziert, kann sich der Hering auch bei fortgesetzt niedriger Produktivität erholen und in einigen Jahren wieder nachhaltig bewirtschaftet werden. Er liefert dann ungefähr die Hälfte des früheren Ertrags.
  2. Die Produktivität lässt sich steigern, indem andere Stressoren reduziert werden: Schon die regional begrenzte Verringerung des Nährstoffeintrags im Wassereinzugsgebiet der Laichgründe kann helfen, den Bestand widerstandsfähiger zu machen.
Zum Weiterhören: der Podcast "Klimawandel und Meer".
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Quellen und Abbildungen

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(1) Dodson JJ, Daigle G, Hammer C, Polte P, Kotterba P, Winkler G, Zimmermann C (2019) Environmental determinants of larval herring (Clupea harengus) abundance and distribution in the western Baltic Sea. Limnol Oceanogr 64(1):317-329,
DOI:10.1002/lno.11042
(Eigenmittel Thünen-Institut und EU Data Collection Framework)
(2) Polte P, Gröhsler T, Kotterba P, Nordheim L von, Moll D, Santos J, Rodriguez-Tress P, Zablotski Y, Zimmermann C (2021) Reduced reproductive success of Western Baltic herring (Clupea harengus) as a response to warming winters. Front Mar Sci 8:589242,
DOI:10.3389/fmars.2021.589242
(Eigenmittel Thünen-Institut und EU Data Collection Framework)
(3) Cheung WWL, Reygondeau G, Frölicher TL (2016) Large benefits to marine fisheries of meeting the 1.5°C global warming target. Science 354 (6319): 1591-1594,
DOI: 10.1126/science.aag2331
(4) Kniebusch M, Meier HEM, Neumann T, Börgel F (2019) Temperature variability of the Baltic Sea since 1850 and attribution to atmospheric forcing variables. J. Geophys. Res. Oceans 124: 4168-4187,
DOI: 10.1029/2018JC013948
(5) Oeberst R, Klenz B, Gröhsler T, Dickey-Collas M, Nash RDM, Zimmermann C (2009) When is year-class strength determined in western Baltic herring? – ICES Journal of Marine Science, 66: 1667–1672.
DOI: 10.1093/icesjms/fsp143
(Eigenmittel Thünen Institut und EU-Data Collection Framework)
(6) Kanstinger P, Beher J, Grenzdörffer G, Hammer C, Huebert KB, Stepputtis D, Peck M (2018) What is left? Macrophyte meadows and Atlantic herring (Clupea harengus) spawning sites in the Greifswalder Bodden, Baltic Sea. Estuar Coast Shelf Sci 201:72-81,
DOI:10.1016/j.ecss.2016.03.004
(Projekt Umweltgutachten DONG-Kraftwerk)
(7) Bauer RK, Stepputtis D, Gräwe U, Zimmermann C, Hammer C (2013) Wind-induced variability in coastal larval retention areas: a case study on Western Baltic spring-spawning herring. Fisheries Oceanogr 22(5):388-399, DOI:10.1111/fog.12029
(Eigenmittel Thünen-Institut)
(8) Kotterba P, Moll D, Hammer C, Peck M, Oesterwind D, Polte P (2017) Predation on Atlantic herring (Clupea harengus) eggs by the resident predator community in coastal transitional waters. Limnol Oceanogr 62(6):2616-2628, DOI:10.1002/lno.10594
Kotterba P, Kühn C, Hammer C, Polte P (2014) Predation of threespine stickleback (Gastrosteus aculeatus) on the eggs of Atlantic herring (Clupea harengus) in a Baltic Sea lagoon. Limnol Oceanogr 59(2):578-587, DOI:10.4319/lo.2014.59.2.0578
(EU-Projekte BONUS Bio-C3 und Inspire)
(9) Moll D, Kotterba P, Nordheim L von, Polte P (2018) Storm-induced Atlantic herring (Clupea harengus) egg mortality in Baltic Sea inshore spawning areas. Estuaries Coasts 41(1):1-12, DOI:10.1007/s12237-017-0259-5
(EU Data Collection Framework)
(10) Nordheim L von, Kotterba P, Moll D, Polte P (2020) Lethal effect of filamentous algal blooms on Atlantic herring (Clupea harengus) eggs in the Baltic Sea. Aquatic Conserv 30(7):1362-1372, DOI:10.1002/aqc.3329 (Stipendium Deutsche Bundesstiftung Umwelt)
(11) Finke A et al in prep
(Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes) (12) Līvdane L et al in prep
(Eigenmittel Thünen-Institut und EU Data Collection Framework)
(13) Moyano M, Illing B, Polte P, Kotterba P, Zablotski Y, Gröhsler T, Hüdepohl P, Cooke SJ, Peck M (2020) Linking individual physiological indicators to the productivity of fish populations: A case study of Atlantic herring. Ecol Indic 113:106146,
DOI:10.1016/j.ecolind.2020.106146
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1. Hering im Netz: ©Annemarie Schütz/Thünen-Institut
2. Silber der Ostsee: ©Daniel Stepputtis/Thünen-Institut
3. Heringsnachwuchs N20-Index: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
4. Bestandsentwicklung: ©www.fischbestaende-online.de
5. Verbreitungs- und Managementgebiete: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
6. Heringsfischer Gr. Zicker: ©Andrea Müller/Thünen-Institut
7. Bedeutung für Mecklenburg-Vorpommern: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
8. Westl. Ostsee von der ISS: Image courtesy of the Earth Science and Remote Sensing Unit, NASA Johnson Space Center,
http://eol.jsc.nasa.gov, file STS099-751-33_3.JPG, accessed 13 Feb 2021
9. Gewinner und Verlierer des Klimawandels: nach Cheung et al 2016, nachgezeichnet und verändert
10. Kutter vor Lofoten: ©lowe99/stock.adobe.com
11. Lofoten-Kabeljaufischer: ©Ulf Berglund/MSC
12. Tropenfischerei: ©MSC
13. Wolfsbarsch: ©ILYA AKINSHIN/stock.adobe.com
14. Strandfischer Ostsee: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
15. Ostsee-Herings-Pairtrawlfischerei: ©Lena Ganssmann/MSC
16. Heringshol: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
17. Bongo-Larvennetz: ©Harry Strehlow/Thünen-Institut
18. RHLS-Stationskarte: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
19. Interview P.Polte, FFS Clupea: ©Annemarie Schütz/Thünen-Institut, unter Verwendung von Videomaterial von Annemarie Schütz/Thünen-Institut und einer Grafik von Christopher Zimmer­mann/Thünen-Institut
20. ICES-Logo: ©ICES.dk
21. Heringslarven: ©Dagmar Stephan/Thünen-Institut
22. Karten Wasserpflanzen-Ausdehnung GWB 1938: Map based on species distribution reported by Seifert (1938), Subklew (1955) and Munkes (2005), zitiert in Kanstinger et al 2018
23. Wasserpflanzen-Ausdehnung GWB 2009: Görres Grenzdörffer/Univ. Rostock, zitiert in Kanstinger et al 2018
24. Sturm Ostsee: ©Daniel Stepputtis/Thünen-Institut
25. Larvenverdriftung: ©Robert Bauer/Thünen-Institut & Ulf Gräwe/IOW
26. Fressversuche Stichlinge: ©Paul Kotterba/Thünen-Institut
27. Laichballen am Strand: ©Dorothee Moll/Thünen-Institut
28. Überwachsene Heringseier: ©Lena von Nordheim/Thünen-Institut
29. Hüpferlinge und Nauplien: ©Gesche Winkler/UQAR
30. Blaualgenblüte Ostsee: ©NASA Ocean Color Image Gallery (2020, August), https://eoimages.gsfc.nasa.gov/images/imagerecords/147000/147135/baltic_oli_2020228_lrg.jpg, accessed 12 Feb 2021
31. Ostseeküste Prerow: ©Cornelius Hammer/Thünen-Institut
32. Februar-Oberflächentemperaturen: ©Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie/Remote Sensing Group
33. Phänologie-Verschiebung: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
34. Animation Phänologie-Verschiebung: ©Annemarie Schütz, Nadine Kraft/Thünen-Institut
35. Video C.Zimmermann: ©Annemarie Schütz/Thünen-Institut, unter Verwendung einer Grafik von Christopher Zimmermann/Thünen-Institut, Videomaterial von Annemarie Schütz/Thünen-Instituts, eines Fotos von ©Lena Ganssmann/MSC
36. Hering im Schleppnetz: ©Annemarie Schütz/Thünen-Institut
37. Herings-Rekrutierungsstressoren: ©Christopher Zimmermann/Thünen-Institut
38. Podcast Klimawandel und Meer: Jan Kerckhoff für Thünen-Institut
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Klimawandel und Meeresfisch

Für viele Hochsee-Gebiete haben wir inzwischen eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welche Auswirkungen der Klimawandel auf Fischbestände haben wird. Die Verbreitungsgebiete aller kommerziell genutzten Fischarten verschieben sich in Richtung beider Pole. Dabei wird es vor allem Verlierer geben, hier insbesondere in den Tropen. Die wenigen Fischbestände, die vom Klimawandel profitieren, finden sich hingegen in den nördlichen, bisher von Eis bedeckten Meeresgebieten. (3) 
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Die Produktivität insbesondere der ausgedehnten Schelfgebiete des Nordpolarmeers wird sich durch die geringere Meereisausdehnung erhöhen. Deshalb zählen diese polaren und subpolaren Meeresgebiete zu den Gewinnern des Klimawandels. Dort wird künftig mehr Fisch gefischt werden können als früher. Für westeuropäische Verbraucher*innen, die vielfach Fisch aus diesen Regionen verzehren, ist diese Verschiebung vorteilhaft.  
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Am stärksten spürbar wird die Verschiebung der Verbreitungsgebiete in den tropischen Regionen: Dort ziehen die Fischbestände polwärts, ohne dass Arten nachrücken können, die an noch wärmeres Wasser angepasst sind. Zudem ist die Abhängigkeit der Menschen von Fisch als Quelle für tierisches Protein in den Tropen am größten.
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Zu den Verlierern gehören auch die Küstenfischereien in unseren Breiten, weil sie in der Regel nicht mit den auswandernden Fischarten mitziehen können und ihre Fangrechte auf die heimische Region beschränkt sind. Zudem werden die neu einwandernden Arten die Verluste der auswandernden Arten in den kommenden Jahrzehnten kaum ausgleichen können. Ein Beispiel ist der Wolfsbarsch, der noch vor wenigen Jahren in der nordeuropäischen Fischerei keine Rolle spielte, inzwischen aber häufiger im Ärmelkanal gefangen wird. Zwar ist diese Fischerei sehr profitabel. Allerdings gleicht sie die Fangverluste beim Kabeljau noch nicht annähernd aus.
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Für Randmeere wie die Ostsee ist eine Vorhersage der Auswirkungen des Klimawandels nur schwer möglich (4). Die Einflüsse der sie umgebenden Landmassen spielen eine wesentlich größere Rolle als bei den Ozeanen.

Zwei Beispiele: Führt der Klimawandel zu mehr Niederschlägen über dem Land, transportieren die Flüsse mehr Süßwasser in die Ostsee. Der Salzgehalt sinkt. Meeresfische wie Dorsch und Scholle sind aber an höhere Salzgehalte angepasst, sie werden daher weniger produktiv im ausgesüßten Wasser.
Nimmt hingegen durch den Klimawandel starker Wind aus westlicher Richtung im Herbst zu, könnte mehr Salzwasser aus der Nordsee einströmen. Dadurch steigt der Salzgehalt der Ostsee, Meeresfische bringen erheblich mehr Nachwuchs auf die Welt.
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Hypothesen zum Nachwuchsrückgang

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Vorher/Nacher Ansicht

Vergleich des Wasserpflanzen-Bewuchses im Greifswalder Bodden 1938 und 2009

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Heringe heften ihren extrem klebrigen Laich an die Blätter sogenannter Makrophyten. Im Greifswalder Bodden sind das verschiedene Arten von Großalgen und Seegräsern. Noch vor 80 Jahren gab es von diesen Pflanzen reichlich, auch in den tieferen Gebieten. Das zumindest zeigt die Illustration einer Bestandsaufnahme von 1938. Während einer Befliegung des Greifswalder Boddens im Jahr 2009 waren Wasserpflanzen allerdings nur noch in den flachen Randgebieten des Gewässers zu sehen. Wir haben uns gefragt: Finden die Heringe nicht mehr genug Makrophyten, um die Eier ankleben zu können? (6) Ein Vergleich mit Datensätzen aus den 1980er und 1990er Jahren zeigte: Es gab auch damals schon erheblich weniger Wasserpflanzen als in den 1930er Jahren. Ein Mangel an passenden Pflanzen allein erklärt also nicht oder nur bedingt den Rückgang des Heringsnachwuchses, der erst seit den frühen 2000ern beobachtet wird.
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Der Greifswalder Bodden hat mit seiner Gestalt die ideale Beschaffenheit einer Kinderstube für den Heringsnachwuchs: Er ist flach, vergleichsweise groß und bildet ein abgeschlossenes Meeresgebiet. Das hat zwei Vorteile: Zum einen schwimmen die kleinen Larven in diesem abgeschlossenen Retentionsgebiet in einer „Nahrungssuppe“. Zum anderen können sie nicht in die offene See gespült werden, wo sie viel weniger Nahrung finden würden.  

Doch in den vergangenen Jahren haben die Stürme in der Kinderstube zugenommen. Die Überlegung: Werden mehr Larven als früher in die Pommersche Bucht gespült und verhungern dort?

In einer Forschungsarbeit haben wir nachgewiesen, dass die Larven zwar durch die Stürme schneller herumgewirbelt werden (7). Aber aus dem Bodden werden sie nicht gespült. Diese Hypothese fällt daher als Erklärung für den schwachen Nachwuchs aus.

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Möglichkeit drei für den Rückgang der Heringslarven: mehr Fressfeinde, etwa Seevögel oder andere Fischarten. Die Zahl der Laich fressenden Eisenten allerdings ist so zurückgegangen, dass sie kaum für den geringeren Heringsnachwuchs verantwortlich gemacht werden können.

Bleiben Fischräuber, zum Beispiel die Stichlinge: Sie sind klein, wirtschaftlich wenig bedeutsam und vertilgen große Mengen Heringslaich. Hatten sich Stichlinge in den frühen 2000er Jahren so vermehrt, dass sie dem Hering gefährlich werden konnten?
Da es keine Vergleichsdaten aus den Jahren vor 2006 zur Anzahl der Stichlinge gibt, lässt sich diese Hypothese nicht verifizieren.

Klar ist dank der Untersuchung nun aber, dass der Stichling als Laichräuber eine viel größere Rolle spielt als bisher angenommen (8). Außerdem fressen Stichlinge offenbar um so mehr Heringseier, je kleiner die Fläche ist, auf der die Eier abgelegt wurden.
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Eine weitere Hypothese greift noch einmal die zunehmenden Stürme auf: Möglicherweise reißen sie das nur noch in den flachen Uferbereichen vorhandene Laichkraut ab und spülen es an Land. Dort sterben die Heringseier ab.
 
Von Stürmen abgerissenes Laichkraut mit Heringseiern wurde durchaus am Ufer gefunden (9). Doch auch diese These kann als alleiniger Grund nicht bestätigt werden, weil es keine Vergleichsdaten aus den Jahren vor 2006 gibt.
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Das größte Problem für die Ostsee und ihre Bodden-Gewässer ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Eutrophierung, also der übermäßige Nährstoffeintrag. In die Ostsee münden mehr als 60 kleine und große Flüsse. Durch sie gelangt nicht nur Süßwasser in das Meer. Sie führen auch Phosphor- und Stickstoffverbindungen mit sich, Nährstoffe, die beispielsweise aus der Landwirtschaft, aber auch vom Autoverkehr stammen.  

Die sichtbarste Auswirkung dieses Nährstoffüberangebots ist eine starke Zunahme von schwebenden Algen im Greifswalder Bodden. Das sogenannte Phytoplankton behindert den Lichteinfall in die tieferen Wasserschichten. Dort gibt es deshalb keine Wasserpflanzen mehr. Die Folge: Laichkräuter finden die Heringe nur noch im flachen Wasser in Ufernähe.  

Ebenfalls durch die Eutrophierung bedingt vermehren sich fädige Algen und Pilze. Sie überwachsen die Laichkräuter und sogar die Eiballen des Herings und hindern diese am Wachstum.  
Es gab zudem die Vermutung, dass bestimmte dieser wuchernden Algen giftige Substanzen absondern, die die Weiterentwicklung des Heringslaichs verhindern. In einer Forschungsarbeit haben wir diese These nachgewiesen (10). Eine Schlussfolgerung daraus: Würde der Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft etwa über den Peenestrom zur Laichzeit gestoppt, hätte dies sofort messbare positive Auswirkungen auf das übermäßige Algenwachstum.
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Die Vermutung liegt nahe, dass die Heringslarven zu wenig Futter finden. Denn sie schlüpfen nach wie vor in ausreichender Zahl, sind aber ab dem nächsten Lebensstadium erheblich dezimiert. In mehreren Studien erforschen wir daher intensiver das Fressverhalten der Heringslarven sowie ihre Beute.

So haben wir erstmals untersucht, wie groß die zum Zooplankton gehörenden Kleinkrebse überhaupt sein dürfen, damit sie in das Maul der Heringslarven passen. Das vorläufige Ergebnis: nicht größer als das erste Larvenstadium der Kleinkrebse (11). Sind die Beutetiere größer, verhungern die Heringslarven sozusagen am gedeckten Tisch.

Tauchen die Heringslarven nun aber knapp drei Wochen früher im Bodden auf, gibt es noch keinen Zooplankton-Nachwuchs. Denn die Nachwuchsproduktion der Kleinkrebse hängt ab von den einzelligen Algen, dem sogenannten Phytoplankton. Das allerdings ist von der Erwärmung der Ostsee nicht betroffen. Es vermehrt sich, wenn die Tage lang genug sind. Die Mikroalgen sind also zum üblichen Zeitpunkt vorhanden – die Heringslarven sind aber früher da und verpassen das Zooplankton.

In einer umfangreichen weiteren Studie wird derzeit die Menge des Zooplanktons in allen Entwicklungsstadien im Greifswalder Bodden ausgewertet. Erste Ergebnisse zeigen, dass seit einigen Jahren erheblich weniger Kleinkrebse vorkommen (12). Warum das so ist, muss noch geklärt werden. Ziemlich wahrscheinlich ist jedoch auch hier, dass die zu warmen Winter eine Rolle spielen.
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Auch wenn jeder Einzelaspekt für sich betrachtet nicht den entscheidenden Einfluss auf die Nachwuchsproduktion des Herings hat – im Zusammenspiel verändern die verschiedenen Parameter das Ökosystem: Die Überdüngung der Küstengewässer sorgt dafür, dass Wasserpflanzen nur noch in flachen und hellen Zonen in Ufernähe vorkommen. Auf diese Pflanzen legt der Hering seine Eier ab. Die zur Verfügung stehende Fläche ist aber erheblich kleiner als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Für den Stichling ergeben sich durch diese hohe Laichkonzentration offenbar ganz neue Möglichkeiten: Er frisst viel mehr Laich als früher. Zugleich werden Wasserpflanzen in Ufernähe leichter durch Stürme abgerissen und an Land geworfen. Nicht zuletzt vermehren sich fädige Algen und Pilze ungebremst durch das Überangebot an Nährstoffen, das die Flüsse in die Ostsee und den Greifswalder Bodden transportieren. Die Sterblichkeit der Heringseier wird weiter erhöht.

Am Ende dieser Kette aus einzelnen Faktoren gibt es einen Verlierer: den Hering, der sich nicht schnell genug an die veränderten Bedingungen anpassen kann.
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Bestandsentwicklung

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Der Nachwuchs-Index (N20-Larvenindex) liefert die wichtigsten Informationen zur Nachwuchsproduktion des Herings der westlichen Ostsee für die Bestandsberechnung des ICES. Er gibt die Gesamtzahl der Heringslarven an, die während einer Laichsaison (März-Juni) eine Länge von 20 Millimeter erreichen. Zwischen dieser Zahl und der Anzahl der dreijährigen Heringe, die dann von der Fischerei gefangen werden, gibt es eine gute Abhängigkeit, das heisst der Index lässt sich für die Fangvorhersage nutzen. Die Jahrgangsstärke dieses Bestandes war immer schon variabel. Seit ungefähr 2006 nimmt er jedoch immer weiter ab. Der Jahrgang 2020 war der schwächste seit 30 Jahren.
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Die Bestandsberechnung des ICES für den Hering der westlichen Ostsee reicht nur bis 1991 zurück. Zuvor konnte der Bestand nicht vom Nordseebestand getrennt betrachtet werden. Beide Bestände vermischen sich im Sommer.

Seit Beginn der 1990er Jahre hat dieser Heringsbestand abgenommen (Abb. links oben). Nach jetziger Wahrnehmung ist er viel zu klein: Die sogenannte Biomasse liegt seit 2006 dauerhaft unter dem Referenzpunkt nach maximalem nachhaltigen Dauerertrag (engl. MSY). Sie ist inzwischen nur noch halb so groß wie der Limit-Referenzwert (B lim), also der Wert, unter den die Größe des Bestandes keinesfalls fallen sollte.

Der Fischereidruck ist seit Beginn der Berechnung viel zu hoch (Abb. rechts oben). Um nachhaltig zu sein, müsste er unter den Referenzwert nach MSY gesenkt werden (F msy).

Die Fänge aus dem Gesamtbestand wurden in den vergangenen 30 Jahren von fast 200.000 Tonnen auf 22.000 Tonnen reduziert (Abb. links unten).

Die Werte für die Nachwuchsproduktion weichen von denen des Nachwuchs-Larvenindex ab, weil sie das Ergebnis der Bestandsberechnung darstellen, in die weitere Informationen eingehen (Abb. rechts unten). Der abnehmende Trend ist jedoch identisch.
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Verbreitung und Management

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Die Bestandsberechnung des ICES für den Hering der westlichen Ostsee reicht nur bis 1991 zurück. Zuvor konnte der Bestand nicht vom Nordseebestand getrennt betrachtet werden. Beide Bestände vermischen sich im Sommer.

Seit Beginn der 1990er Jahre hat dieser Heringsbestand abgenommen (Abb. links oben). Nach jetziger Wahrnehmung ist er viel zu klein: Die sogenannte Biomasse liegt seit 2006 dauerhaft unter dem Referenzpunkt nach maximalem nachhaltigen Dauerertrag (engl. MSY). Sie ist inzwischen nur noch halb so groß wie der Limit-Referenzwert (B lim), also der Wert, unter den die Größe des Bestandes keinesfalls fallen sollte.

Der Fischereidruck ist seit Beginn der Berechnung viel zu hoch (Abb. rechts oben). Um nachhaltig zu sein, müsste er unter den Referenzwert nach MSY gesenkt werden (F msy).

Die Fänge aus dem Gesamtbestand wurden in den vergangenen 30 Jahren von fast 200.000 Tonnen auf 25.000 Tonnen reduziert (Abb. links unten).

Die Werte für die Nachwuchsproduktion weichen von denen des Nachwuchs-Larvenindex ab, weil sie das Ergebnis der Bestandsberechnung darstellen, in die weitere Informationen eingehen (Abb. rechts unten). Der abnehmende Trend ist jedoch identisch.
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Hering der westlichen Ostsee ist weit verbreitet: Er laicht im Frühjahr in den Flachwassergebieten der südlichen Ostsee, verbringt seine Jugendzeit im Sommer in der Arkonasee und wandert zum Fressen als erwachsenes Tier nach Norden in Kattegat, Skagerrak und östliche Nordsee. Im Winter zieht sich der Bestand in den Öresund zurück und wandert von dort wieder auf die Laichgründe (Abb. links).

Während seiner jährlichen Wanderungen durchquert der Bestand mehrere Bewirtschaftungsgebiete (Abb. rechts): die westliche Ostsee, Kattegat und Skagerrak sowie die Nordsee. An den Rändern kommt es zur Vermischung mit den Nachbarbeständen der Nordsee und der zentralen Ostsee.

Für jede dieser Bewirtschaftszonen wird eine getrennte Höchstfangmenge festgesetzt. Der Fischereidruck auf den Gesamtbestand resultiert jedoch aus der Summe der Fänge in allen Bewirtschaftungsgebieten.
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