Thünen erklärt: Gekommen, um zu bleibenWie die Integration Geflüchteter in ländlichen Regionen gelingen kann
Von Nadine Kraft und Johanna Fick
Stadt und Land – zwei Seiten einer Medaille?
Das gilt noch mehr, wenn Migrantinnen und Migranten, im Speziellen Menschen mit Fluchterfahrung, in diese häufig komplexen Gebilde ziehen. Sowohl die Orte als auch die Zugezogenen stehen vor anderen Herausforderungen als in Großstädten, etwa in puncto Mobilität oder Arbeit.
Welche Gründe geflüchtete Menschen dazu bewegen, dauerhaft in ländlichen Kommunen bleiben zu wollen, haben Forschende des Thünen-Instituts für Ländliche Räume gemeinsam mit Projektpartnerinnen und -partnern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der Universität Hildesheim und der TU Chemnitz während eines dreijährigen Projektes untersucht. Ihre wesentlichen Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen erklären sie hier.
Geflüchtete in ländlichen Regionen
Geflüchtete in ländlichen Regionen
Bleibewunsch und Wohlbefinden
"Je nachdem, wo die Arbeit ist"
"Also ich fühle mich mit meiner Familie ganz wohl hier [...]. Aber das kommt darauf an, wo ich eine Arbeit finde später. Also wenn zum Beispiel ich eine gute Arbeit hier finden kann [...], dann würde ich gerne hier bleiben. Wenn ich aber zum Beispiel Arbeit in Northeim oder Hamburg oder einer anderen Stadt finde, dann würde ich umziehen. Also im Prinzip je nachdem, wo die Arbeit ist."
Warum bleiben Menschen an einem Ort?
- Sie fühlen sich in der Kommune willkommen.
- Nachbarn, Eltern und Mitschülerinnen und -schüler der Kinder, ehrenamtlich Helfende sind offen und unterstützen die Ankunft im neuen Leben.
- Freundschaften entstehen.
- Familienangehörige in anderen Orten sind
erreichbar.
- Die Neubürgerinnen und -bürger können ihr eigenes Leben wieder in die Hand nehmen, sich Wohnung und Arbeit suchen, die Sprache lernen, Sport im Verein treiben.
- Sie können am Leben in Dorf oder Kleinstadt teilhaben, weil es Möglichkeiten für sie gibt, sich in den Kommunen einzubringen.
- Die Infrastruktur funktioniert: Es gibt Schule
und Kita, eine ärztliche Versorgung, Internet, eine gute Anbindung des Ortes durch
den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Einkaufsmöglichkeiten.
"Ich möchte hier wohnen"
"Ich möchte hier wohnen (bleiben). Ich habe viele Leute hier kennen gelernt. [...] Ich möchte nicht in eine große Stadt. Wenn ich in eine große Stadt ziehe, bin ich neu und alleine und das ist nicht schön. Wenn ich hier bin, das ist gut. Ich habe Freunde und das macht mir Spaß. So ist es gut. Ich möchte nicht umziehen in ein anderes Land, eine andere Stadt. Ich möchte hierbleiben."
Erreichbarkeit und Mobilität
Erreichbarkeit und Mobilität
Allerdings hat diese dezentrale Unterbringung in kleineren Kommunen häufig auch gezeigt, wo die Infrastruktur Lücken aufweist: „Geflüchtete verdeutlichen unsere strukturellen Probleme und geben Anstöße", sagt Siegfried Asselmeyer, ehrenamtlich Engagierter im Werra-Meißner-Kreis (Hessen).
Wegezeiten etwa verlängern sich erheblich, weil die Anbindung durch den ÖPNV nicht ausreichend vorhanden ist. Das hat Folgen: Termine bei Behörden können ohne Anstrengung nicht rechtzeitig wahrgenommen werden, jeder Arztbesuch und Einkauf wird zur logistischen Herausforderung. Sprachkurse finden nicht in jedem Ort statt und sind dadurch schwer erreichbar.
Auch die häufig unzureichende Ausstattung mit Internet und Co. erschwert den Spracherwerb, ebenso wie die Jobsuche oder die Kontaktpflege mit Angehörigen an anderen Orten. Mit derartigen Problemen hat die Bevölkerung in den ländlichen Räumen insgesamt zu kämpfen. Den Kommunen ist dementsprechend am meisten geholfen, wenn Integrationsarbeit und Regionalentwicklung miteinander verknüpft werden.
Hilfreich wäre es beispielsweise, wenn Kommunen Geld aus verschiedenen Förderfonds auf Bundes- oder EU-Ebene je nach Bedarf für Integrations- und Entwicklungsprogramme verwenden könnten.
Soziales Miteinander
Soziales Miteinander
Wer sorgt für eine solche Atmosphäre? Nachbarinnen und Nachbarn, ehrenamtlich Engagierte, die lokale Eigenheiten erklären, beim Erlernen der Sprache unterstützen, zu Festen einladen oder bei einem Arztbesuch unterstützen. Vereine, die sich öffnen und Nachwuchs und Mitstreiter*innen unter den Zugewanderten gewinnen. Politiker*innen, die interkulturellen Austausch und ehrenamtliches Engagement ebenso fördern wie die Teilhabe jenseits des Wahlrechts.
"Leben, wie es ihnen gefällt"
"[Integration bedeutet, dass] Menschen die Möglichkeit haben, ein Zuhause zu finden, wo sie ankommen können. Wo sie innerhalb der gesetzlichen Gegebenheiten auch so leben können. Aber wie es ihnen gefällt. [...] Das heißt also nicht Anpassung. [...] Das finde ich Quatsch. Das ändert sich ja ständig. Kultur."
So werden Geflüchtete heimisch
So werden Geflüchtete heimisch
Doch damit diese Gleichung tatsächlich aufgeht, müssen sowohl Ankommende als auch Aufnehmende ein Interesse aneinander und am Leben in einer ländlichen Umgebung haben. Ein offener Umgang miteinander und soziale Kontakte, aber auch eine funktionierende Infrastruktur, Arbeit und Wohnraum sind Faktoren, die Geflüchtete zu dauerhaften Einwohner*innen einer ländlichen Kommune werden lassen.
Podcast Geflüchtete auf dem Land
Umfangreiche Studie zu Geflüchteten
Umfangreiche Studie zu Geflüchteten
Mehr als 350 qualitative Interviews, eine umfangreiche Bevölkerungsbefragung sowie die statistische Auswertung von Daten etwa aus dem Ausländerzentralregister liefern ein aufschlussreiches Bild über Bleibemotive von Geflüchteten in ländlichen Regionen. Zahlreiche Publikationen dazu sind entstanden, beispielsweise der Ratgeber „Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Räumen“.
Das Projekt wurde finanziert vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Förderkennzeichen: 2817LE036).
Ausgewählte Quellen
120
DOI:10.3220/WP1550743518000
Günther J, Heimann C, Schammann H, Younso C (2021): Alles Gold, was glänzt? Fördermittel für die Integrationsarbeit in ländlichen Kreisen und Gemeinden, Robert-Bosch-Stiftung (Hg.), Stuttgart
Neumeier S (2019): Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutschlands – Erreichbarkeiten von Einrichtungen der Grundversorgung in den Untersuchungslandkreisen und deren kreiseigenen Gemeinden, Braunschweig, Thünen Working Paper 122,
DOI:10.3220/WP1558335521000
Osigus T, Mehl P, Neumeier S (2021): Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutschlands. Dimensionsbericht Teilprojekt 1: Integrationspotenziale in den Untersuchungslandkreisen, Braunschweig
Schammann H, Bürer M, Fick J, Gasch S, Glorius B, Kordel S, Mehl P, Meschter D, Neumeier S, Osigus T, Schneider H, Spenger D, Weidinger T, Younso C (2021): Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Räumen. Befunde und Handlungsempfehlungen aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt, Thünen-Ratgeber, Braunschweig
Schneider H, Bürer M, Glorius B (2021): Gesellschaftliche Einstellungen
in ländlichen Räumen gegenüber Neuzugewanderten: Befragungsergebnisse und regionale Spezifika - Verbundprojekt "Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutschlands". Braunschweig, Thünen Working Paper 174,
DOI:10.3220/WP1619426837000
Abbildungen und Zitate
Stadt und Land: ©Thünen-Institut/GeoBasis-DE/BKG 2018/Mareike Zech
Geflüchtete in ländlichen Regionen: ©Andreas Bormann; Karte: ©Thünen-Institut/www.landatlas.de
Ländliche Regionen: ©Thünen-Institut/Christina Waitkus
Bleibewunsch: ©Thünen-Institut/Diana Meschter; ©jamesteohart - stock.adobe.com; ©sofiko14 - stock.adobe.com
Je nachdem, wo die Arbeit ist: ©Thünen-Institut/Christina Waitkus
Warum bleiben Menschen: AZR (2021), eigene Berechnungen
Autowerkstatt: ©Andreas Bormann
Ich möchte hier wohnen: ©Thünen-Institut/Helge Meyer-Borstel
Erreichbarkeit und Mobilität: ©Glaser - stock.adobe.com
Erreichbarkeitsmodell 2019: ©Thünen-Institut/Stefan Neumeier auf Basis ©GeoBasis-DE/BKG 2018; Map tiles by Stamen Design under CC BY 3.0. Data by OpenStreetMap under ODbl
Soziales Miteinander: ©bierwirm - stock.adobe.com; Fußball: ©dpa/Daniel Naupold;
Ehrenamtliches Engagement: Freiwillige: ©Robert Kneschke - stock.adobe.com; Lerngruppe: ©Frank Gaertner (www.franky242.net) – stock.adobe.com
Leben wie es gefällt: ©Sa Scha - stock.adobe.com
So werden Geflüchtete heimisch: ©Markus Bolliger - stock.adobe.com
Studie: Gruppenbild: ©Thünen-Institut/Michael Welling; Ratgeber: ©Thünen-Institut/Mareike Zech
Bildbearbeitung und Illustrationen: Thünen-Institut/Mareike Zech
Alle Zitate stammen aus den Interviews für die Studie.
Alle Audiozitate wurden aus Gründen des Datenschutzes von Mitgliedern des Vereins Diversity Media e. V. nachgesprochen.
Untertitelung: Thünen-Institut/Beate Büttner
Ländliche Räume - Definition
Zum AnfangKooperationen stiften Zusammenhalt
Kooperationen stiften Zusammenhalt
Empfehlungen für Handelnde
Dass Geld nicht alles ist, haben auch die zahlreichen Befragungen in den Kommunen gezeigt. Ehrenamtlich Engagierte wünschen sich eher, dass der Austausch zwischen der ursprünglichen Bevölkerung und den geflüchteten Menschen gefördert wird. Und wenn sich die Neubürgerinnen und -bürger selbst engagieren, dann sollte auch das erheblich mehr gewürdigt und unterstützt werden.
Aktivitäten verknüpfen
Aktivitäten verknüpfen
Zur Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements für Migrantinnen und Migranten wurden bisher bundesweit elf Houses of Resources gegründet. Sie unterstützen zeitlich befristet lokale Organisationen und Ehrenamtliche beispielsweise, indem sie bedarfsorientiert und flexibel Ressourcen und Leistungen zur Verfügung stellen oder Kooperationen und Netzwerke mit relevanten Institutionen und Organisationen anbahnen. Die Houses of Resources werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterstützt und sind bisher nur in Städten angesiedelt.